Geschichte des Albums

Let‘s make an album / Nashville again / Fast verhaftet / Nashville Groove / Spannende Gegensätze / Teeter’s und Holly / Der erste Aufnahmetag / Tornado Nacht / Der zweite Aufnahmetag / Singing and Volunteering / Rays Lagerhalle, gone with the wind / Back to Nashville; Comfort Inn / Treffen mit Pat / Abschied von Nashville / Back to Berlin

Let‘s make an album!

Ich wusste, dass ich mit dem ersten kompletten Album einen Treffer landen muss. Zwölf Songs bedeuten zwölf Chancen das einer davon durchstarten kann. Das bedeutete eine gewisse Bandbreite anzubieten ohne beliebig zu wirken. Schnell hatte ich 25 Songs zusammen. Welches Genre sollte ich weiter verfolgen? Ich wollte auf keinen Fall in die Country Falle tappen. Also Oberkategorie Americana. Darunter konnte ich Blues, Country, Rock und Rock’n’Roll einordnen. Die ersten Lieder waren schon geschrieben unter dem Einfluss von Memphis und Nashville. Ich wollte aber auch meine Herkunft als Nordküsten Geborener nicht verleugnen. Da war noch eine Ode über die ertrunkenen Seeleute, ein Lied über Galway und meinen Heimathafen. Dann noch zwei Songs über Beziehungsenden und ein Lied über den fehlenden Umgang mit Flutopfern. Insgesamt schien es mir eine gute Mischung, die fast mein ganzes musikalisches Schaffen repräsentieren würde. Ich schickte die Songs in ihrer akustischen Urfassung an Tommy und Ray. Warum sollte ich das Team wechseln? Die größte Schwierigkeit war es, mit allen Beteiligten ein Zeitfenster für die Aufnahmen in Nashville zu finden. Schnell verabschiedete sich Ray, er musste auf große Stadiontour mit Eros Ramazzotti. Hey, als ehemaliger Tour Manager von Devo mit Eros auf Tour? That`s America! Also versuchte ich mit Tommy die Termine zu koordinieren. Die ersten zehn Märztage 2020 wurden gebucht. Zwei der Musiker aus den EP Aufnahmen waren wieder dabei, andere mussten auf Tour. Alison, die Bassistin bedauerte sehr nicht dabei sein zu können. Tommy versprach hochwertigen Ersatz. Inzwischen wusste ich, dass Tommy seine Versprechen halten würde.

Udo wollte auf jeden Fall wieder mit. Anna blieb dieses Mal als Organisatorin im Hintergrund. Da Udo viele Protagonisten der Berliner Musikszene sehr gut kennt, ist es nicht überraschend, dass zu denen auch Freuende gehören, die in dem Ramones Museum arbeiten. So kam es, dass wir unsere bevorstehende Reise in der Kneipe des Ramones Museums feierten.

Nashville again

In Berlin pünktlich gestartet, strandeten wir in New York, der Anschluss Flieger war kaputt. Wir saßen fünf Stunden in New York fest. Also kamen wir doch wieder spät abends in Nashville an.

Ich hatte im Gepäck 20 Exemplare meiner EP, um sie als Werbung in Nashville zu verteilen und den Musikern ein Exemplar zu geben. Der Zollbeamte fand sie, schaute mich kurz an und fragte:
„Is it you?“
„Yes, I’ve recorded it six months ago in Nashville.“
„Cool!“
Er war begeistert und bekam ein Exemplar geschenkt. Immer wieder fiel mir auf, dass Amerikaner alle Facetten von Show lieben. Egal wie du bist, du musst eine gute Show abliefern. Es kann schon passieren das ein Zollbeamter sagt „Sing mal was“ wenn du angibst Sänger zu sein.

Nebenbei hörten wir die ersten Corona Nachrichten aus Deutschland. „Egal, jetzt geht das Abenteuer weiter!“ Wir waren wieder voll im Nashville Modus als wir kurz vor 23 Uhr dort ankamen. Udo hatte von Berlin aus einen Mietwagen gebucht, nur das der Schalter schon fast geschlossen hatte und aufgrund fehlender Informationen bekamen wir den Mietwagen nicht. Also ein Uber Taxi zum Comfort Inn. Die indische Leiterin war da und gab uns ein Zimmer im ersten Stock. Ins Live Oak? Verdammt, ja! Unser Lieblings Türsteher war leider nicht mehr da und drinnen war die Atmosphäre auch nicht mehr so gut. Also noch zwei Bier getrunken und dann gute Nacht Nashville.

Natürlich waren wir mal wieder um vier Uhr morgens wach, die innere Zeit lässt sich eben nicht so schnell umstellen. Also hat jeder von seinem Kingsize Bett aus den anderen zum lachen gebracht, so laut, dass ich schon dachte, dass gleich die Nachbarn die Tür eintreten.

Fast verhaftet

Am nächsten Morgen trafen wir an der Rezeption wieder Jeed. Ich hatte ihm versprochen, ihm eine EP mitzubringen. Er erkannte uns sofort wieder und freute sich über das Geschenk. nach dem Frühstück gingen wir zu Fuss zur nächsten Hauptstrasse Richtung Downtown, wo wir einen Bus zum Flughafen nahmen, um den Mietwagen zu organisieren. Der Bus kam, hielt aber unwillig an, erst als wir winkten. Der Fahrer war sehr genervt. Jetzt musste er doch noch den ganzen Weg zum Flughafen fahren. Die Sonne schien und nichts konnte unsere gute Laune aufhalten. Am Flughafen verwies der Autoverleiher uns zum Schalter im Gebäude, da die Buchung nirgends zu finden war. Wir gingen rein, Udo stellte seinen Rucksack an eine Säule und setzte sich zehn Meter weiter um seine Vermietung in Deutschland anzurufen. Ich suchte nach einem Schalter. Als ich wiederkam stand ein riesiger Sicherheitsbeamter vor dem Rucksack und sagte, dass er schon die Polizei gerufen habe,  da auf sein Rufen sich kein Besitzer des Gepäckstücks gemeldet hätte. Udo bemerkte die Situation, kam angelaufen und wollte den Rucksack nehmen. Dies lies der Sicherheitsmann nicht zu. Es kam fast zu einer körperlichen Auseinandersetzung. Ich sprach mit Engelszungen auf ihn ein und schilderte ihm unsere missliche Lage. Schließlich bekam er Mitleid und rief die Polizei an, um die Verhaftung abzusagen.

Die fehlende Buchung des Autos klärte sich am Schalter auf: Sie vertreten zwei Firmen vertreten und hatten nach unserem Leihwagen bei der falschen Firma gesucht.  Endlich Autoschlüssel in der Hand, blauer Himmel, die Stadt erwartete uns! Wir hatten noch einen freien Tag vor den Aufnahmen, um wieder in den Nashville Groove zurück zu finden.

Nashville Groove

Wir haben den Wagen zum Motel zurück gebracht und sind Richtung Downtown gegangen in unsere Lieblings Bierhalle, es war ja schließlich auch schon nach zwölf Uhr Mittags. Als wir rein gingen lief Live Musik, ein bärtiger Sänger performte auf der Bühne. Wir bestellten uns ein Bier und lauschten den Klängen. Es klang gut, nur dass sehr oft von Gott gesungen wurde. Dann stellten wir fest, dass hier das Festival der religiösen Countrysänger stattfand.. Also weiter Richtung Downtown. Dann fiel mir ein, dass Luke der Cowboy am Mittag immer in einer bestimmten Bar gesungen hat. „Lass es uns doch einfach mal hingehen!“

Tatsächlich trat Luke dort wieder auf, er war mitten in seinem Programm, das er kurz unterbrach, um uns zu begrüßen. „Wow, er hat uns wiedererkannt!“ Leider hatte Udo wieder seinen Ausweis im Hotel vergessen, so dass wir hier kein Bier bestellen konnten. Luke machte Pause und kam vor die Bar damit wir uns in Ruhe unterhalten konnten. Ich schenkte ihm eine meiner EPs. Luke arbeitet immer noch an seiner ersten Platte. Some things never change!

Es war schon 15 Uhr, wir hatten uns ein Zeitlimit bis 20 Uhr gegeben, da wir am nächsten Morgen schon nach Lost Hollow ins Aufnahmestudio fahren mussten. Also landeten wir in Nudie`s Honky Tonk, die Bar mit dem längsten Tresen in Nashville. Über der Bühne im Eingangsbereich hängt ein kompletter Cadillac. Die Bands hier geben ihr bestes um die Leute zum tanzen zu animieren. Da Udo durch seinen fehlenden Ausweis kein Bier bekam, blieb ich vor Ort während er zum Motel joggte um ihn zu holen. So lernte ich Caroline aus Arkansas kennen.Sie war, wie viele mit einer Gruppe Freundinnen hier um ein wildes Wochenende zu verbringen. Ich erzählte ihr weshalb ich in Nashville war. Udo kam dazu und wir tranken ein Bier zusammen. Caroline befand im Lauf unseres Gespräch: „You are a gentleman!“ Ich schenkte ihr meine EP, was sie dazu bewog ein Selfie mit mir zu machen, da ich ja vielleicht berühmt werden könnte. Sicher ist sicher!

Bevor sie weiterzog sagte sie mir ins Ohr, dass ich am nächsten Tag die beste Platte meines Lebens aufnehmen würde und ich voller Energie sein werde. Dann ging sie. Motivation auf amerikanisch! Ich fühlte mich perfekt vorbereitet. Zurück im Motel kam Jeed auf mich zu und zeigte mir meine EP auf der er einen Song mehrmals umkringelt hatte. „This one I like de most!“ Motivation auf amerikanisch! Der Nashville Groove gab mir genau das was ich brauchte, das richtige Gefühl für meine Aufnahmen.

Spannende Gegensätze

In der City von Nashville gibt es viele Gegensätze. Hier tummeln sich die einfachen Farmer mit ihren Kindern um ein schönes Wochenende zu haben. Aber auch weltgewandte Musiker, Produzenten und die Einwohner von Nashville, neun von zehn haben einen Job in der Musikindustrie. Dann gibt es noch die europäischen Touristen, die jedoch wenig beachtet werden. Der Hauptteil des zahlenden Publikums ist amerikanisch.

Es gibt es in den Bars und Restaurants immer wieder Begegnungen von Konservativen und Liberalen, Demokraten und Republikanern. Über Politik wird hier nicht viel gesprochen, erst recht nicht mit Ausländern. Erst wenn ein richtiges Gespräch zustande kommt lohnt es sich Fragen zu stellen. Was die Amerikaner überhaupt nicht mögen ist Doppeldeutigkeit oder Ironie im Gespräch. Auf jeden Fall ist es einfach, mit Vertretern aus allen Gruppen ins Gespräch zu kommen. Nicht immer sind sie so leicht zu unterscheiden wie auf diesem Foto:

Auch bei den Musikern gibt es die unterschiedlichsten Typen: Hippies, Hipster, Southern Rocker, Jazzer, Country Girls and Boys. Jeder versucht sich so gut wie möglich in Szene zu setzen. Allein diese Eindrücke sind eine Reise nach Nashville wert.

Teeter’s und Holly

Am Morgen machten wir uns auf den Weg von unserem Hotel zum Studio. Um möglichst nah am Studio zu wohnen hatten wir auf Tommys Rat ein Holzhäuschen in Ashland City gebucht, in der Nähe des Studios in Lost Hollow. Die Vermieter waren ein religiöses Pärchen, welches Nacktkatzen züchtete. Während unseres Aufenthalts bekamen weder sie noch ihre Katzen zu sehen. Wir erreichten Ashland City viel zu früh. Es blieb genug Zeit für einen stop over im Teeter`s, einer kleinen Gasoline Station mit Imbiss und Laden für die Farmer. Die Produkte in den Regalen waren teilweise noch aus den 60er Jahren. Vergilbte Waschmittelpackungen und andere Raritäten verbreiteten ein Flair wie in einem alten Film. Mit einem schmissigen „Good Morning“ hatten wir erstmal alle Aufmerksamkeit der einheimischen Farmer, die dort frühstückten. Durch unser offenes Auftreten bekamen wir exklusiv ein „Farmer`s breakfast“ für fünf Dollar, welches wir kaum aufessen konnten. Dann kam Holly zu uns, mit einer Fransenjacke und dem Geruch von hundert Litern Whiskey und hundert Zigaretten in der Luft. „I think, you’re a humorous guy!“, sagte sie und fing an ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Es war acht Uhr morgens und in einer Stunde würden die Aufnahmen anfangen. Holly erzählte, dass sie auch eine Sängerin gewesen sei und jetzt hier gestrandet wäre. Sie würde aber gerne mitkommen ins Studio. Die Farmer fragten wo wir denn aufnehmen würden. Als ich Tommy erwähnte sagten sie: „It`s a good place! Reba recorded there.“ Wir entkamen Holly`s Angebot mitzukommen als sie von einem anderen Gespräch abgelenkt war. Die Farmer amüsierten sich. Dann haben wir noch schnell Reba gegoogelt. Sie heisst Reba McEntire und ist eine der bekanntesten Country Sängerinnen in den USA. Also dann, ab ins Studio!

Der erste Aufnahmetag

Das Wiedersehen mit Tommy und Pat war herzlich, entspannt und gespannt gleichzeitig. Ich war nicht mehr so nervös wie bei den ersten Aufnahmen. Was würden wir diesmal hinbekommen? Während Absprache welcher Song zuerst eingespielt werden sollte, kamen nach und nach die anderen Musiker. Alle waren gut drauf und kreierten eine ruhige, produktive Atmosphäre. Der Bassist für diesen Tag war Jimmy Carter, nicht der Präsident,  er erzählte, dass er sich mit acht Jahren dazu entschlossen hatte Bass zu lernen, um damit der harten Arbeit auf der Farm zu entgehen. Seit vierzig Jahren ist das Bass spielen sein Broterwerb. Eine typische Nashville Biografie. Die meisten Musiker sind sehr geerdet, sie haben ihre Häuser mit Grundstück und freuen sich neben den Touren ihr Geld durch Aufnahmen verdienen zu können. Andere wie Pat McGrath sind froh, nicht mehr so oft touren zu müssen und bringen ihr ganzes musikalisches Können in die Aufnahmen ein. So war es ein langer Tag und am Ende hatten wir die Basis Tracks für die ersten sechs Songs eingespielt, eine unglaubliche Leistung von allen. Tommy, der Magier der Aufnahmen schaffte es, alles und alle zu dirigieren und gleichzeitig noch selbst Schlagzeug zu spielen. „I did ten thousand sessions over the last years“, sagte er mir nebenbei. Darüber hinaus hat er eine sechsköpfige Familie. In Musiker Kreisen wird er auch Tempo, the groove master Tommy genannt. Er kann multipel, schnell aber gleichzeitig absolut präzise arbeiten. Wir waren begeistert und ich war sehr müde, als wir nach erfolgreicher Session Richtung Ashland City zu unserer neuen Unterkunft aufbrachen. Vorher deckten wir uns noch in einem Megastore mit Essen und Trinken ein. Nach einigen Schwierigkeiten schafften wir es, das Haus der Nacktkatzenmenschen zu öffnen. Im Airbnb stand, dass die Besitzer Nacktkatzen züchten und sehr auf Sauberkeit achten, da die Katzen sehr empfindlich sind. Eine andere Unterkunft gab ein der Nähe nicht. Zum Glück bekamen wir während unseres Aufenthalts weder die Besitzer noch die Nacktkatzen zu sehen. Sie mussten ein weiteres Haus haben. Alles war absolut sauber und überall klebten und hingen Ge- und Verbotsschilder.

 

Wirklich überall!! Sauber, steril, ordentlich. Wir waren zu müde um alles durchzulesen und gingen nach einem Feierabend Essen direkt ins Bett.

Tornado Nacht

Wir wurden aus tiefstem Schlaf geweckt, als sämtliche Radios in der Nacht angingen. „Oh, die Nacktkatzenmenschen!“, dachte ich. Dann hörte ich genauer hin. „This is the sheriff`s department. This is a serious tornado warning, Go straight to the cellar and wait for further information!“ Die Ansage wiederholte sich permanent. Udo kam aus seinem Zimmer getaumelt und sagte: „Ich muss meine Ruhe haben!“ Dann zog er den Stecker des Radios aus der Steckdose und ging wieder schlafen. Mir wurde bewusst, dass das Haus keinen Keller hatte! Ich setzte mich auf mein Bett und starrte aus dem Fenster. Offensichtlich waren nur wenige Menschen in dieser Siedlung. Es war dunkel. In zwei Häusern, die weiter weg lagen entdeckte ich noch Licht. Dann fing es an zu stürmen und zu hageln. Das Haus wackelte. Ich dachte mir, wenn ich den Tornado kommen sehe, lege ich mich unter das Eisenbettgestell, dann habe ich noch eine Chance. Plötzlich fiel der Strom aus und es wurde stockdunkel!

Udo war nicht wach zu bekommen. Das Haus wackelte mehrere Minuten etwas stärker, dann ging das Licht in der Siedlung wieder an. Glück gehabt, dachte ich. Am nächsten Tag erfuhren wir, dass der Tornado nur 1,4 Kilometer entfernt durchgezogen war und eine Schneise der Verwüstung hinterlassen hatte. Da hätte ein Verstecken unter dem Bettgestell auch nichts genützt. Sogar massive Eisenträger wurden von dem Tornado verbogen, wie ich später in Nashville sehen konnte.

 

Am nächsten Morgen schien die Sonne, es war blauer Himmel, ein echter Frühlingstag. Verwirrt taumelten wir zum Wagen um zum Aufnahmestudio zu fahren. „Immer passiert uns irgendwas verrücktes!“ meinte Udo und wir mussten lachen. „Die Aufnahmen heute können ja nur besonders werden!“ Die Fahrt von Ashland City zum Studio kam uns nicht viel kürzer vor als die Fahrt von Nashville aus. Da hätten wir auch in unserem Motel bleiben können! Well, sometimes it is like it is!

Der zweite Aufnahmetag

Der zweite Aufnahmetag war geprägt von dem Gefühl das alle überlebt hatten. Es gab viele Tote, der Tornado war mitten durch Tennessee und den Nordostteil von Nashville gezogen. Auf dem Hinweg nach Lost Hollow sahen wir erste Spuren der Verwüstung. Tommy musste improvisieren, da wegen umgestürzter Bäume und Schäden an Grundstücken  Jimmy Carter und James Mitchell nicht kommen konnten. Sofort lief eine Unterstützungsaktion an. Aus der Nachbarschaft kam der 70jährige Bassist Mike Brignadello, ein super netter Typ, der schon mit Lynyrd Skynyrd gespielt hat. Er erzählte, dass er schon auf 140 Alben mitgespielt hat. Als Unterstützung für Pat kam Troy Lancaster, der grade erst den Country Music Award für seine Arbeit bei dem Stück „God`s country“ von Blake Shelton gewonnen hatte. In dieser speziellen Atmosphäre wurden die nächsten sechs Songs eingespielt, mit viel Gesprächen zwischen den Aufnahmen. Jeder Musiker war in einer ganz besonderen Stimmung, die so in die Aufnahmen einfließen konnte. Tommy ließ sich den ganzen Stress nicht anmerken .

Eine seiner Töchter machte von uns ein  Gruppenfoto, welches die Stimmung einfing. Später nannte ich ich es „Die Band der Brillenträger“. Es ist auf dem Innencover des Albums zu sehen. Die Hilfsbereitschaft unter den Musikern, auch wenn es nicht viel zu verdienen gibt, ist erwähnenswert. Nach jeder Aufnahme wird aus Qualitätsansprüchen noch mal  gemeinsam reingehört. Troy hat sogar später, nachdem wir schon wieder in Berlin waren, Tommy noch einen neuen Solopart zu einem Song geschickt, weil er das Stück so gut fand. Er fand, dass das neue Solo viel besser passen würde. Die Leidenschaft für Musik ist hier wirklich spürbar.

Im Gespräch nach den Aufnahmen sagten mir die Musiker, dass sie sich vorstellen könnten in Nashville mit mir aufzutreten. Dies war eine besondere Auszeichnung für mich. Troy wollte mit seiner Frau im Juni nach Berlin kommen und bei mir übernachten. Die Dinge liefen wirklich gut, trotz des Tornados. Corona spielte noch keine Rolle, eher als Randerscheinung. Die Farmer im Teeter`s machten beim Frühstück noch Witze, dass sie ihre Kühe schon immer mit Corona-Zusatz gefüttert hätten und da sie sie essen würden, wären sie jetzt immun. Ich fühlte mich großartig, da alle Stücke jetzt eingespielt waren und ich die nächste Woche „nur“ noch alles neu einsingen musste. Tommy war perfekt strukturiert. Sein Aufnahmeplan hing im Studio an der Wand. Die Arbeit in Tommy`s Dungeon war sehr effizient.

Singing and Volunteering

Am nächsten Morgen brachte mich Udo zum Studio um dann nach Nashville weiter zu fahren. Für mich fing die Arbeit erst an,. Ich musste Zeile für Zeile mit der richtigen Intonation einsingen, mit Tommy als Lehrmeister. Ich war begeistert, denn ich wusste, dass so jede Zeile einer kritischen Überprüfung standhalten würde. Gleichzeitig hatte ich einen Lehrer, der nichts durchgehen ließ. „It`s nearly perfect“ und „just one more time“ , waren meine gefürchtetsten Ansagen in diesen Tagen. Entspannung gab es erst wenn ich hörte „now you`re a genius!“. Tommy trieb mich zu Höchstleistungen und vermittelte mir gleichzeitig viel von der Südstaaten Einstellung der liberalen Musiker. Er war nicht glücklich mit der Polarisierung seines Landes. „In better times we came together and then we agreed that we disagree. Then we ordered another beer.“ Jetzt gibt es keinen Zusammenhalt mehr. Die intensive Studioarbeit brachte uns näher zusammen.

Tommy war der musikalische Direktor der Aufnahmen. Als wir „Drowned Sailor“ eingespielt hatten meinte Tommy, dass unbedingt noch Geigen in das Stück gehören würden. Er hat die Geigen von Hans Zimmer, dem Filmmusik-Produzenten dafür genommen und es ist wie ein Soundtrack für einen noch nicht gedrehten Film geworden. Für Tommy ist es ein Art Song. Für das „Galway Bay“ hat er sich extra ein Akkordeon gekauft, das wollte er schon immer. „Now I’ve got a reason for my wife to buy one!“, sagte er und lächelte mich an.

Udo hatte sich in Nashville als Volunteer eingeschrieben, was sehr einfach ging. „We need every helping hand!“ Alle halfen mit bei den Aufräumungsarbeiten der Tornado Schäden. Udos Team freute sich über den „Guy from Germany“. Als erstes mussten sie zusammen Kaffee trinken und ältere Damen brachten Sandwiches. Dann ging es an die Aufräumarbeiten. Der Tornado hatte enorme Schäden in German Town hinterlassen. Dächer und Fassaden von Häusern waren eingestürzt und hatten Menschen unter sich begraben. Die erste Bilanz gab 56 Tote an. Das ganze wirke sehr surreal in dem sonnenscheinhaften Frühlingswetter.

                         

Am Nachmittag rief Ray aus Palm Springs an. Er sagte er müsse nach Nashville kommen, da seine Lagerhalle mit dem technischen Tonequipment beschädigt worden war und er seine Sachen aussortieren und auslagern müsse.

Rays Lagerhalle, gone with the wind

Am späten Nachmittag fuhren wir raus aus der Stadt, um Ray zu helfen. Der Tornado hatte im Lagerhallen Komplex ganze Arbeit geleistet. Viele der Lager waren komplett zerstört. Ray hatte insofern Glück, dass er einen Teil seines Equipments retten konnte. Ein befreundeter Musiker kam mit seinem Truck vorbei. Er wohnte in der Nähe und hatte Ray angeboten die Sachen in seiner Garage unterzubringen. Amerikaner lassen sich Verlust nicht anmerken. Als ich ein paar Fotos machte, posierte Ray als ob wir in einer Show wären. That`s american style!

Die Garage war in einem kleinen, von Wachleuten geschützten Wohngebiet mit sauberen Einzelhäusern, von guten, gläubigen Amerikanern bewohnt. Es war ein interessanter Eindruck so eine Siedlung mal von innen zu sehen. Zwei Omas kamen uns in Jogging Anzügen entgegen und winkten uns synchron zu. Eine Szene wie aus einem Film. Nur in einem Baum der Siedlung hing ein Stück Stoff, das der Tornado ein paar Kilometer von der umgeblasenen Lagerhalle herüber geweht hatte. Die Bewohner, die vor ihren Häusern standen, schienen es nicht zu bemerken oder sie ignorierten diesen kleinen Makel perfekt.

Nachdem wir seine Sachen gesichert hatten entschwand Ray mit einer geretteten Flasche Whiskey. „I really need it this evening!“

Back to Nashville, Comfort Inn

Nachdem die Gesangsaufnahmen im Kasten waren, war es ein großartiges Gefühl wieder nach Nashville zurück zu kommen. Endlich wieder in unserem Drive Inn Motel. Jeed gab uns das beste Zimmer und freute sich auf unsere humorvollen Small Talks. Wir erzählten ausführlich von unseren Erlebnissen. Es gibt immer einen Zugang zu den Menschen in Tennessee wenn man etwas spannendes oder interessantes zu erzählen hat. Die Menschen dort lieben Geschichten. Eine andere Geschichte ist das Essen in Amerika. Es ist nahezu unmöglich gutes Bio Essen zu bekommen. Inzwischen gibt es zwar Restaurants, die in diese Richtung gehen, aber dort ist es dann richtig teuer. Unsere Entscheidung war, zwei Wochen auf den Kompromiss einzugehen, ab und zu gutes Essen im Supermarkt zu kaufen und ansonsten Gitter Pommes und Salat als Alternative zu akzeptieren. Beim Trinken dreht sich alles ums Bier. Aber Vorsicht bei gut klingenden Sorten! Die meisten haben , diplomatisch ausgedrückt, einen seltsamen Geschmack. Wenn ich einem Amerikaner erzählt habe, dass ich aus Deutschland komme, war meistens die erste Reaktion, dass er jemand in der Familie hat oder Urahnen, die auch aus Deutschland kommen. Die zweite Reaktion war dann: „The German Beer is great!“ Wir tranken zwei, drei Bier vor dem Pool mit einer typischen amerikanischen Familie und haben zusammen viel gelacht. Ein schöner Abschied vom Comfort Inn.

Treffen mit Pat

Am letzten Abend waren wir mit Pat verabredet, der in einem Viertel außerhalb des Trubels der Innenstadt wohnt. Er wollte uns einen kleinen Musikladen mit Live Musik abseits des Mainstreams vorstellen. Ein beeindruckender Sänger trat mit seiner Band auf, sie spielten Honky Tonks und Western Swing wie aus einem alten Radio. Ich sprach lange mit Pat über Musikgeschichte und die Einflüsse, die zu meinen Songs geführt haben. Er erzählte von der echten Country Musik, die hier in Nashville nur noch selten dargeboten würde. Gleichzeitig bekamen wir einige Empfehlungen von ihm für unseren nächsten Besuch. Wir haben uns alle großartig amüsiert an diesem, für uns letzten Abend. Wir waren etwas angetrunken nach einer Woche Abstinenz während der Aufnahmen.

Als wir das Comfort Inn erreichten,  standen am Eingang zwei metallic-rote Motorräder wie aus einem Kinofilm.

Im Fernseher in der Hotel Lobby liefen schon Berichte über Covid 19 und über Stornierungen von Flügen. Eine Airline hatte die Flüge bereits komplett eingestellt. Zum Glück war es nicht unsere. „Was machen wir, wenn wir nicht mehr rauskommen?“ ,fragten wir uns. „Was soll schon passieren, ein Zahnarzt und ein Musiker. Da decken wir  doch einiges ab!“ Wie schlimm das Virus noch wüten würde konnten wir noch nicht absehen.

Abschied von Nashville

Der Abschied von Nashville fiel schwer. In der Abflughalle fragte mich ein Polizist was ich denn in Nashville gemacht hätte. Ich erzählte ihm von den Aufnahmen und er sagte: „I love your accent man!“ Ein schönes, letztes Kompliment. Goodbye Nashville! Das Umsteigen in New York war wieder mit ein paar Stunden Warten verbunden. Wir lernten noch eine Frau aus Ohio kennen, der wir unsere neuesten Geschichten erzählen konnten, dann saßen wir im Flieger nach Deutschland. Niemand trug Masken. Hinter mir hustete ein dicke Frau während des ganzen Fluges. Langsam kam die drohende Gefahr ins Bewusstsein.

Back to Berlin

Beim Auschecken gab es weder Kontrollen noch sonst irgendwelche sichtbaren Zeichen von Veränderung. Anna erwartete uns schon am Terminal. Bei der Fahrt nach Hause war eine gedrückte Stimmung zu bemerken. Udo fuhr direkt in seine Praxis. Die Euphorie der Aufnahmen fand sehr schnell eine Unterbrechung durch den Shut Down.

Dieser komplette Umschwung war schwer zu ertragen. Ich versuchte die Stimmung in zwei Liedern einzufangen, die in schwarzweiß auf Youtube zu sehen und zu hören sind.  Sie sind eine Momentaufnahme der Atmosphäre dieser Tage. „The great unknown“ entstand neu und „Out of nowhere“ schrieb ich um.

Beim ersten Treffen mit Udo wünschten wir uns wieder zurück in die neu gewonnene heile Musikwelt, aus der wir grade kamen. Aber es war noch viel zu tun bis zur fertigen CD.

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