Geschichte der EP

Das Alter / Die Serie / Anna / Udo-Ray Linie / Ankommen / Erste Eindrücke / Luke Lander / Third man records / Das erste Video / Frühstück in Nashville / Ray’s call / Tommys Dungeon und die Aufnahmen / Goodbye Udo, hello Anna / Trucker’s Diner / Farmers Flea Market / Mike / Greyhound ride to Memphis / Peabody Hotel / The mighty Mississippi / Graceland / Letzter Abend in Memphis / Nashville Karaoke / Goodbye Nashville / Home / Erste Feedbacks

Das Alter

Was passiert wenn ein älterer Songschreiber auf die Idee kommt noch einmal loszuziehen und seine selbstverfassten Songs mit professioneller Hilfe einzuspielen? Er muss raus aus seiner Komfortzone und rein ins Studio! Wichtig ist die Leidenschaft für die eigenen Songs. Eigene Songs sind wie Kinder, sie wachsen und wollen irgendwann raus in die Welt. Manche machen Karriere, andere schaffen es nicht ihren Platz zu finden. Für den Anfang sucht der Songschreiber seine interessantesten Kinder aus und zieht los um für sie ein neues Zuhause zu finden. Der Weg führt sie nach Nashville und weiter nach Lost Hollow in Ashland City, Tennessee.

Die Serie

Was passiert wenn du eine Serie schaust und plötzlich mittendrin bist? Die Serie „Nashville“ war ein schöner Winterzeitvertreib. Grade zurück aus dem sonnigen Panama und das kalte Übergangswetter ignorierend, die Dramen um Country Musik Stars in Nashville anschauen, mit vielen Szenen in unterschiedlichen Studios. Während der Folge, in der die aufstrebende Sängerin zum ersten Mal in einem Studio ihre Songs aufnimmt und ihre Songs neu interpretiert bekommt, durch professionelle Musiker, sagte meine Frau:
„Eigentlich solltest du deine Songs auch dort aufnehmen“
„Ja, das wäre schon super! “
Drei Tage später auf dem Weg zum Einkaufen fragte meine Frau:
„ Wie lange würde es dauern, wenn du nach Nashville fahren würdest um deine Songs aufzunehmen?“ „Vielleicht so zwei-drei Wochen.“ „Dann mach das doch! Aber nimm jemand mit, der sich mit Musik auskennt. Ich könnte ja nachkommen und wir hängen noch eine Woche Urlaub dran!“

Der weitere Weg fühlte sich an, als wenn ich mitten in die Serie hineingeklettert wäre, aber ich will nicht vorgreifen.

Anna

Das Erfüllen eines Traumes funktioniert ohne die Unterstützung einer Partnerin nur schwer. Bei mir war es die Hilfe meiner Frau, die den Rahmen für das Abenteuer Nashville möglich gemacht hat. Sie hatte die Kosten im Blick, wusste wo und wie die Buchungen zu gestalten waren und unterstützte mich mit Energie und Liebe dabei, dass ich meinen Traum verwirklichen konnte. Dies ist die richtige Stelle in der Geschichte ihr zu sagen: „Ich liebe dich!“

Eines Tages stellte sie eine entscheidende Frage: „Für die Aufnahmen, wen willst du da mitnehmen?“ Mir kam sofort mein Freund Udo, der Zahnarzt und ehemaliger Bassist in den Sinn, mit dem ich früher in einer Band gespielt hatte. Also habe ich ihn angerufen und zu meiner Überraschung sagte er sofort: „Ja, lass uns das machen!“

Foto Michel Barraz

Udo und Ray 

Udo hatte früher für kurze Zeit Bass in einer Punkband gespielt und vor zwanzig Jahren in New York Ray Amico, den ehemaligen Tourmanager von Devo kennen gelernt. Allerdings hatten sie sich seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen. „Wir können ihm ja mal eine Mail schicken, vielleicht weiß er an wen wir uns in Nashville wenden können.“ Die Antwort kam sehr schnell: „Leute, ich bin grade in Nashville. Ich habe dort ein Aufnahmestudio gehabt, das ich zurzeit auflöse, weil ich nach Palm Springs ziehen werde. Wenn ihr rüber kommen wollt, ich bin noch drei Wochen hier. Ich kann euch helfen!“ In Nashville hatte er als Manager für Fiona Apple gearbeitet. Das hatten wir im Internet gefunden. Das klang nach Abenteuer, also nichts wie los.

Ankommen

Zwei Tage vor meinem sechzigsten Geburtstag ging es los, „Nashville, here we come!“ Es war Sommer, Juli 2019, als wir abends erschöpft nach einer siebzehn stündigen Reise im Bus nach Nashville Downtown saßen. Alle Fahrgäste und die Fahrerin diskutierten wo sie uns am besten rauslassen müssten, damit wir es nicht so weit zu unserer Unterkunft hätten. Die letzten drei Blocks gingen wir zu Fuß in der lauen Sommernacht. Einchecken im Comfort Inn in der Demonbreun Street, einem typisch amerikanischen Drive Inn Motel. „You have no car?“ fragte Jeed, der freundliche Inder am Empfang und amüsierte sich. Er sollte noch eine Rolle im weiteren Verlauf spielen.

 

Erste Eindrücke

„Es ist erst kurz vor Mitternacht, lass uns noch rausgehen und Musik hören!“ Wir gingen über die Straße ins Live Oak, einem Musikladen in der Demonbreun Street, in dem Nachwuchskünstler und Bands auftreten. Die Stimmung war großartig, der Türsteher nett und schon waren wir drinnen, obwohl Udo seinen Ausweis im Motel vergessen hatte, der in Nashville obligatorisch ist, um in die Livemusik Bars zu kommen. „Lass uns ein Bier bestellen!“ Vor dem Tresen saß ein echter, cooler Cowboy mit Hut und Bier in der Hand. Da die Musik sehr laut war, bestellte ich einfach per Handzeichen für uns zweimal die Biersorte, die er trank. Wir bekamen zwei Bud Light! Nicht bei jedem der wie ein Cowboy aussieht, ist auch ein Cowboy drin.

Die erste Woche verging wie im Rausch, die Nashville Musik Szene erkunden, viele Honky Tonks besuchen, die Atmosphäre aufnehmen. In jedem Laden Live Musik mit hochprofessionellen Musiker/innen. Die Show ist hier wichtig, alle leben vom Trinkgeld. Auch die Kellner/innen. Ein kurzes Gespräch ist die Grundlage für den Eintritt in die Nashville Welt. „Hi, I`m Caroline from Alabama and I`ll take care of you!“,sagte die Kellnerin in der ersten Bar. Dies war nicht die Art, die wir aus Berlin gewohnt sind .Die Musiker sind froh über Trinkgeld aber auch über ein positives Feedback für ihre Show. Jede Band hat eine halbe Stunde Zeit die Gäste zu beeindrucken. Je besser die Show, desto mehr Leute tanzen auch schon um zwei Uhr nachmittags vor der Bühne und füllen den Trinkgeld Eimer. Jede Show war sehenswert. „Listen and learn!“ war unser Motto für diese Tage. Unsere Regel war: „Kein Bier vor zwölf!“,was wir fast immer einhalten konnten.

 

Luke the Cowboy

Die erste Begegnung mit einem Musiker vom „Lower Broad“, der Honky Tonk Live Musik Straße in Nashville, waren die Klänge einer tiefen, beeindruckenden Stimme. Sie lockten uns direkt in eine der Musikbars. Dort spielte und sang Luke Lander, ein nicht mehr ganz junger Cowboy, für die Barbesucher, die sich weiterhin angeregt unterhielten und Bier und Cocktails tranken. Wir hörten ihm eine Weile fasziniert zu und begannen in seiner Pause ein Gespräch mit ihm. Er erzählte, dass er immer an verschiedenen Orten auftreten müsse, oft mehrmals am Tag, die Konkurrenz sei groß und das Trinkgeld, welches die einzige Bezahlung darstellt, wäre auch nicht mehr so reichlich. Als ich ihn fragte, ob er während seiner Auftritte eine eigene CD verkaufen würde, sagte er, dass er daran noch arbeiten würde. Wir verabredeten uns mit ihm für den Abend in der Bar des Indigo Hotels Downtown, wo er noch einen kleinen Auftritt hatte.

Als wir dort ankamen saßen auch hier viele Gäste im Barraum verteilt, ohne die Livemusik zu beachten. Luke war hier nur ein Beiwerk für das Nashville Flair. Das Indigo ist ein schönes, altes Hotel der gehobenen Klasse für Künstler und Prominente. Luke erzählte, dass es lange dauern würde bis man die Gelegenheit bekäme hier zu spielen. Es gibt auch Produzenten die hier absteigen würden. Das wäre eine Chance entdeckt zu werden oder Folgeaufträge zu bekommen. Die meisten Musiker müssen sich langfristig und mühsam ein Netzwerk erspielen, um von ihrer Musik Leben zu können. Es war eine sehr schöne Begegnung mit Luke Lander, den wir „Luke, the cowboy“ tauften, durch sein bodenständiges Auftreten mit seiner sympathischen, gewinnenden Art. Bei unsrem mehrtägigen Rundgang durch die Honky Tonks stellten wir fest, dass 90% der Musiker perfekt spielen und Stimmung erzeugen konnten aber das Repertoire nur aus nachgespielten aktuellen Hits oder Country Klassikern besteht. Nach zwei Tagen kennt man bereits das aktuelle Programm am „Lower Broad“ und wird nur noch durch herausragende Showelemente hinein gelockt. Langsam kam Routine in den Musikalltag, ich war bereit aufzunehmen.

Third man records

Ein heißer Sommertag in Nashville. Wir gingen raus, um die Stadt zu erobern, oder zu mindestens um in das Aufnahme Business einzusteigen. Ich hatte gelesen, dass Jack White in Nashville ein Studio mit eigenem Laden besitzt, in dem Neil Young eine CD in einer Telefonzelle aufgenommen hatte und in der man auf einer seltsamen Gitarre spielen kann. So entstehen Unikat Singles, direkt während der Aufnahme auf Vinyl gepresst. Die meisten Besucher wählen eines der vorgegebenen Lieder.

Der Weg dorthin zu Fuß gestaltete sich etwas abenteuerlich, da die Nebenstraße vor dem Studio ein Treffpunkt für Junkies ist. Sie lagen überall herum, hatten ihren Stoff schon konsumiert. Durch unser auftauchen kam Leben in die Gruppe. „Hey, tourists!“ Die ersten waren bereits auf den Beinen und taumelten auf uns zu. Wir beeilten uns um die Ecke und ins Studio zu kommen. Mit dem entsprechend höheren Pulsschlag habe ich dann in der Telefonzelle meine erste Single aufgenommen. „Oh, you brought your own song!“ sagte eine der beiden Damen im Laden. Ich dachte an Neil Young, quetschte mich in die Zelle und klebte meinen Text an die Innenwand. Die Gitarre war hoch zu halten, nach dem Start hat man zweieinhalb Minuten Zeit das Lied einzusingen. Natürlich hatte ich vorher nicht die Zeit des Liedes gestoppt, also beeilte ich mich mit hochgereckter Guitare, schwitzend (es waren über dreissig Grad) mein Lied „Out of nowhere“ einzusingen.

Das erste Video

Udo amüsierte sich köstlich und machte Fotos. Die beiden Verkäuferinnen drängten mich nach der Aufnahme, die Single auf einem kleinen Plattenspieler abzuspielen, um das Ergebnis zu hören. „It sounds cool!“, sagte die eine. Der Sound hörte sich an wie aus einem kaputten Grammophon. Aber es bleibt ein Unikat, meine erste Aufnahme in Nashville.

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Schnell wieder raus aus dem kleinen Shop mit meiner ersten Aufnahme aus Nashville in der Hand, schnell durch die Junkie Straße. An dem nächsten Verkehrsrondell fanden wir eine große, gekühlte Bierhalle, in der wir erstmal auf dieses Abenteuer anstoßen konnten.

Frühstück in Nashville

Das Frühstücken in Nashville ist eine besondere Zeremonie. Im Comfort Inn, unserer Unterkunft, gab es ein typisch amerikanisches Frühstück. Alles war in Plastik eingepackt und der Abfallberg schien größer als das Angebot. Nachdem wir es einmal probiert hatten und ich fast den Laden abgebrannt hatte, weil ich versuchte im Riesentoaster ein Bagel zu toasten, beschlossen wir uns eine gesündere Frühstücksvariante zu suchen. Als der Toaster schon fast brannte sagte Udo: „Kay, der Toaster brennt!“ Ich antwortete: „Dann ist es halt so!“ worauf schon Angestellte mit einer Zange kamen ,um den brennenden Bagel herauszufischen. Eine amerikanische Familie kam herein und sagte: „What the hell smells so strange here?“ Leider ließen sich die Fenster nicht zum Lüften öffnen. Schließlich landeten wir in „The Gulch“, einem angesagten Stadtteil von Nashville, der früher heruntergekommen war und von Drogensüchtigen besetzt war. Inzwischen ist es eine Hochburg für Jugendliche und Leute aus der Musikbranche mit dem nötigen Kleingeld geworden . Da kann ein Avocado Toast mit Milchkaffee schon mal 25 $ kosten, das Trinkgeld für Bob, den Kellner aus Alabama „I`ll take care of you“ noch nicht drauf angerechnet. Aber die Qualität war umwerfend! Neben uns saß ein älterer Mann, der auf seinem Laptop tippte.
„Ray hat sich immer noch nicht gemeldet, jetzt muss langsam mal was passieren.“ sagte Udo.
„Lass uns nach dem Frühstück einfach die Studios von Music Lane abklappern und versuchen eine Aufnahmemöglichkeit zu finden.“ meinte ich.
„Vielleicht kann der Mann da uns einen Tipp geben!“
„Na ja, meinst du man kann ihn einfach ansprechen?“
Die offene Art auf Menschen zuzugehen ist Udos größte Stärke.
„Ich mach`s einfach!“ sagte er und eröffnete das Gespräch. So lernten wir Kim Shrum kennen, der natürlich im Musik Business tätig ist. Er leitet u.a. die „Amerika`s Next Toptalent“ Show und ist nebenbei als Produzent aktiv. Er bot uns an einen Termin für eine Aufnahme am nächsten Tag möglich zu machen, mit oder ohne zusätzliche Musiker.

Ray’s call

Als wir beschwingt zurück kamen, setzten wir uns zu den einheimischen Familien an den Hotelpool, um das gängige „Where you`re from?“ -Spiel zu spielen. Viele sparen für ein Wochenende in Nashville, um dann mit der ganzen Familie die Shows am Lower Broad zu besuchen. Abwechslung bringt der Mini Pool der Hotelanlage, wo schon mal mit mitgebrachtem Bier vorgetrunken wird, um sich dann auf den zwanzig minütigen Fußmarsch Richtung Downtown zu machen. Als wir so richtig entspannt waren, klingelte das Mobilfon, Ray war dran. Er war jetzt zurück in Nashville von seiner Tour mit Smashmouth und sagte, dass er für den nächsten Nachmittag eine Aufnahmesession klargemacht hätte. Studio und Musiker seien schon gebucht. „I`ll pick you up at 4 pm!“ Jetzt gab es kein zurück mehr, das Abenteuer ging doch noch los. Schnell noch Kim abgesagt , das Musik Business ist hart, dann wieder ins Live Oak, um uns einzustimmen.

„Nur nicht zu viel trinken, ich muss morgen in Höchstform sein!“ Zwei Honky Tonks später, der mit dem Cadillac über der Bühne war der beste, schafften wir es zurück ins Hotel.

 

Tommys Dungeon und die Aufnahmen

Ray kam pünktlich, ganz der souveräne Manager. Dann ging es raus aufs Land, da wo Tennessee’s sanfte Hügel nur von vereinzelten Auffahrten zu Privathäusern durchbrochen werden. Hier gab es keine öffentlichen Wege, alles ist privatisiert und sollte nur mit äußerster Vorsicht betreten werden, wie uns später mitgeteilt wurde.

Nach einer spannenden, aber langen Fahrt, erreichten wir die Zufahrt zu Lost Hollow, das Grundstück von Tommy Harden, Drummer und Session Master, Aufnahmeleiter und Arrangeur in einer Person. Der Hauskomplex sah etwas älter aus, die typische Mischung aus Holz und Stein. Auf dem Grundstück daneben war von der Straße aus ein „perfekter“ Tennessee Holzschuppen zu sehen.

Als wir in Lost Hollow ausstiegen war schon ein Schlagzeug Sound zu hören. Wir betraten das Heiligtum, ein kleines, aber modern eingerichtetes Studio, in dem Tommy schon auf uns wartete. „Welcome to Tommy`s dungeon!“ begrüßte er uns. Er sagte, dass die Musiker auch bald kommen würden, wir hätten Glück, dass sie grade Pause von ihren Touren hätten und sich für eine dreistündige Session Zeit nehmen würden. Zusammen mit Tommy suchte ich vier von meinen Songs aus, die er auf die Nashville Notation transferierte. Für mich ein Rätsel. „And they can play it straight away?“ fragte ich verwundert. „Yeah, they are absolutely professional. You will see!“

Pat Mc Grath, ein sympathischer, etwas ruhiger, älterer Gitarrist kam als erster und brachte einen Haufen Saiteninstrumente in einen Raum, der extra für seine Aufnahmen zur Verfügung stand. Danach kam Alison Prestwood, die Bassistin, die grade ihr eigenes Album veröffentlicht hatte, wie ich später erfuhr und die aufgrund ihrer großartigen Arbeit zehn Mal zur besten Bassistin von Nashville gewählt zu wurde. Als letztes traf Jon Conley ein, der grade von seiner Tour mit Kenny Chesney zurückgekommen war. Eine Stadiontour, Kenny Chesney ist in den USA ein Superstar. Das alles wusste ich noch nicht. Zu diesem Zeitpunkt waren alle für mich unglaublich nette Musiker, die sich wirklich für die Songs interessierten. Das stimmte auch! Wir setzten uns in eine Runde und sie ließen mich über die Stimmung und den Inhalt des ersten Songs erzählen. Ab und zu wurde eine Nachfrage gestellt, dann kam nur ein kurzes „Ok!“. Dann ging es los. Jeder wusste genau was er zu tun hatte. Ich wurde in einem Extraraum an das Mikro gestellt und Tommy sagte: „Let`s go!“ Er spielte Schlagzeug und machte gleichzeitig die Aufnahme. Dazu koordinierte er noch die Musiker, die ihn als Leiter sehr schätzten. Hier traf jahrzehntelange Erfahrung auf meinen jungfräulichen Einstieg in die professionelle Studioarbeit. Schon ging es los, der Groove war von ersten Takt an packend und nahm mich mit auf die musikalische Reise durch meinen eigenen Song. Dreieinhalb Minuten später war er schon „im Kasten“ ! Alle kamen wieder raus und setzten sich hin. „Was it ok for you?“, fragten sie. Mir fehlten die Superlative. „Absolutely fantastic!“ Welch ein Gebrabbel! Dann hörten wir uns die Aufnahme an. Udo hatte Fotos gemacht und war völlig begeistert von dem Ergebnis der Aufnahme. „Wie kriegen die das so schnell hin?“ fragte er mich. „Ich weis es auch nicht!“ konnte ich nur sagen. Danach sagte einer der Gitarristen: „Shall I add a little mando?“, was wohl das hinzufügen von einem Mandolineneinsprengsel bedeuten sollte. „Yes, please, it sounds great!“ Jon Conley fragte mich nur augenzwinkernd: „Was it Country enough for you?“ Alles was ich sagen konnte war: „Yes man!“

Alison, Ray und Tommy

In drei Stunden waren die vier Songs eingespielt, der Rhythmus, das Timing, alles war perfekt. Alle gaben mir das Gefühl am richtigen Platz zu sein. Die Musiker waren wirklich interessiert an den Songs. „Maybe we shall do a whole album together!“ sagte einer von ihnen. Ich hielt das noch für eine nette Bemerkung, aber Tommy sagte später, dass sie es absolut ernst gemeint hätten.

Kay und Ray

Als Ray uns im Comfort Inn absetzte war es schon dunkel. Wir googelten erstmal die Namen der beteiligten Musiker und mussten feststellen, dass alle eine beeindruckende musikalische Vita hatten. Tommy hatte schon für Paul Simon und Roy Orbison Schlagzeug gespielt und war mit der Band Alabama auf Tour. Pat mit Dolly Parton. Alison hatte grade Aufnahmen für George Benson gemacht. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. „Zum Glück wusste ich das nicht vorher“ sagte ich zu Udo, „dann wäre ich völlig nervös gewesen.“ „Jetzt aber rüber ins Wild Oak und anstoßen!“

Als wir dort saßen kamen die ersten Tracks von Ray. „Here`s the live rough mix of the songs!“ Wir zahlten und gingen zurück ins Comfort Inn, wo wir in die Lobby gingen. Der indische Rezeptionist Jeed fragte uns, was wir gemacht hätten. Ich erzählte ihm von den Aufnahmen. „Oh, let`s listen to it!“ sagte er. Ich legte mein Mobilfon auf den Tresen und spielte den ersten Song ab. „Wow,! This is really you?“ fragte Jeed. Ein älterer Amerikaner dazu und hörte bis zu Ende mit. Dann drehte er sich zu mir und sagte „You did a really great job, man!“ das waren die ersten beiden Zuhörer und ich war sehr stolz auf ihr Feedback.

Goodbye Udo, hello Anna

Am nächsten Tag musste Udo zurück nach Berlin fliegen, ich hatte noch eine Woche Urlaub vor mir. Dachte ich! Meine Frau würde drei Stunden nach Udos Abflug aus Berlin einfliegen und ich könnte ihr zwei Tage Nashville zeigen, dann würden wir weiter nach Memphis fahren, so war der Plan. Ray bot an, mit mir zusammen  Udo zum Flughafen zu bringen und Anna abzuholen. So verabschiedete ich Udo und begrüßte meine Frau, ein fließender Übergang. Ray brachte uns zur unserer neuen Unterkunft in Rolling Mill Hill. Vorher hat er mich noch darauf gedrungen, in einem gigantischen Supermarkt zahllose Lebensmittel und eine Flasche Wein zu kaufen, weil Anna sicher Hunger und Durst nach ihrer Reise haben würde. Da wir schon lange zusammen sind, wusste ich, dass sie auf jeden Fall erstmal raus gehen wollen würde, um sich die Gegend angucken, aber wer widerspricht schon seinem Produzenten. Er schwatzte mir zu meinem Vergnügen noch sechs Flaschen Stella Blue Bier auf, ein fürchterliches Gebräu, sorry Ray! Ich habe ihn als liebevollen aber auch durchsetzungsfähigen Menschen kennen und schätzen gelernt, der sich unglaublich gut um alle Abläufe kümmern kann und einem auch in Stresssituationen jederzeit das Gefühl gibt, absolut gut aufgehoben und wichtig zu sein. Die amerikanische Art des „care taking“ hat auf jeden Fall auch ihre Vorzüge. Natürlich steht auch dahinter der Gedanke hier ein gutes Produkt zu haben. Aber das macht einen guten Produzenten schließlich aus. Ich werde die Abende mit Ray und seiner Frau Michelle in Nashville nie vergessen. Wir haben uns viel erzählt, zusammen gelacht und dabei noch großartige Auftritte von unterschiedlichsten Bands in der Printers Alley gesehen. Der Moment ist ein Gefühl im Bauch und hier fühlte er sich richtig gut an.

Ein Trip vom Flughafen zu unserer Unterkunft in Ray`s „muscle car“ war nicht grade ökologisch korrekt, aber den ersten Eindruck wert, den Anna vom „Rockstar Leben“ in Nashville bekam. Ray lies uns an unserer Unterkunft raus und verschwand in der Nacht.

Erstmal ein schönen Rundgang durch das Viertel mit einem Blick auf die Nashville Skyline by night und dann ab ins Apartment. Zwei Stella Biere und eine großartige Guacamole später auf dem Balkon, waren wir müde genug, um schlafen zu gehen.

Trucker’s Diner

Am nächsten Morgen beschlossen wir in einem Trucker`s Diner frühstücken zu gehen, der auf der anderen Seite der Hauptstraße lag. Er hieß kurioserweise Hermitage und war so filmreif amerikanisch, dass wir ihn nicht auslassen konnten. Drinnen gab es keine Touristen, nur ein paar Einheimische und eine raumfüllende Kellnerin, die eine sehr direkte Art hatte mit allen zu kommunizieren. In der Ecke saß ein Sheriff, der bereits den zweiten Teller mit Eiern, Kartoffeln und sonst was bestellte und uns schnell in ein Gespräch verwickelte. er erzählte uns, dass fast jeder hier irgendwelche Vorfahren hat, die aus Deutschland gekommen sind. Die stattliche Kellnerin musterte Anna und sagte dann „You look so healthy, do you want a banana?“ Das war der unbezahlbare Trucker`s Diner Humor. Als der der dünne Koch kurz aus der Küche herauskam und versuchte sich an der Kellnerin vorbei zu drängen, sagte sie ihm unmissverständlich „You touch me, I kill you.“  Klare Ansage! Wir bemühten uns, unsere Teller leer zu essen, was bei den Portionen in Amerika schon einem gesundheitlichen Todesurteil gleichkommt. Aber so hatten wir den Respekt der Einheimischen erlangt, die uns für die nächsten Tage als exotisches Beiwerk integrierten.

Farmers Flea Market

Ray meldete sich und sagte, dass er uns um 12 Uhr abholen würde, um bei einem befreundeten Produzenten den Gesang noch einmal neu mit einem besseren Mikrofon aufzunehmen. Da es erst 8 Uhr war, hatten wir noch etwas Zeit für uns. Im Internet lasen wir, dass es etwas außerhalb von Nashville einen Farmers Flea Market geben würde. Also ab in ein Uber Taxi und los ging es! Wir kamen bis zu einer geschlossenen Bahnschranke. Der Fahrer machte den Motor aus. Der Zug rollte und rollte. Unser Fahrer sagte, dass es schon mal zwanzig Minuten dauern könne, da immer mehrere Loks dazwischen gespannt würden, um möglichst viele Wagons auf einmal transportieren zu können.

In der Hitze des Sommers erreichten wir den Flohmarkt. Es gab Hallen und Zelte voller geschichtsträchtiger Gegenstände aus den letzten Jahrzehnten von Tennessee. Wie ein Besuch in einem Museum. Ein paar Farmer waren begeistert, dass wir es aus „good old Germany“ bis zu ihrem Markt geschafft hatten und erzählten uns Geschichten aus den 50er Jahren, als die Starkstromleitungen noch mitten durch die Häuser gebaut wurden. Deshalb wurden die Glasisolatoren, die die Kabel hielten auch extra schick gestaltet, um die Hausfrauen nicht zu verärgern. Echte Geschichten aus dem Leben in Tennessee der 50er Jahre. Allein dafür hatte sich der Ausflug schon gelohnt.

Der Tennessee Farmer liebt klare Ansagen. Vor einem Stand mit alten Sachen war ein großes Schild aufgestellt, auf dem stand:

Klarer kann man es nicht ausdrücken. Wir hätten gerne größere Antiquitäten gekauft, aber wie sollten wir sie nach Deutschland bekommen? So war der Ausflug wie ein Museumsbesuch in einem Paralleluniversum der echten Country Kultur. Zurück durch die Mittagshitze zur Stay Alfred Unterkunft in der Rolling Mill Hill hatten wir nur kurz Zeit die Eindrücke sacken zu lassen, dann standen auch schon Michelle und Ray vor der Tür.

Mike

Die erste Frage die Ray an mich stellte war „How is your voice today?“, so bin ich noch nie begrüßt worden. Hopp, waren wir zurück im Musik Business.

Mit dem Kofferraum voller Essen, wie für ein Picknick, ging es los in eine Villengegend außerhalb von Nashville. Die Häuser in der Gegend sahen aus wie eine Kreuzung aus Shouthfork Ranch und Fontenoy Hall. Vor einem dieser Häuser hielten wir an und wurden von einem älteren Herren mit einem riesigen Milchshake in der Hand begrüßt. Ein klassischer, älterer Amerikaner mit der natürlichen Souveränität eines genetisch vererbten Selbstbewusstseins. Sehr sympathisch und offen für unser Anliegen. Es war Mike, der ein namhafter Musikproduzent in der amerikanischen Rockmusik Branche war. Er begrüßte uns zusammen mit seiner Frau, welche zwei Hunde um sich herum springen hatte, die sie mit den Namen Strudel und Schnitzel vorstellte. Mike war überrascht, dass ich aus Deutschland komme. „I`ve listened to the songs and I thought you`re from Texas!“ Ray kannte ihn aus einem gemeinsamen Projekt. Mike hatte sich bereit erklärt, ihm sein Studio für die Gesangsaufnahmen zu überlassen,  er selbst hatte einen wichtigen Termin und musste bald weg. Mike setzte sich mit in den Mischpultraum und hörte zu, wie Ray die erste Aufnahme machte. Im Raum nebenan war ein großes Heimkino in dem Anna und Michelle sich gemütlich einrichten durften, mit dem Picknicksekt und anderen Köstlichkeiten. Sie konnten auf einer großen Leinwand Kinofilme anschauen und sich jederzeit per Knopfdruck in die Aufnahmen im Studio einschalten, um zuhören zu können.

Ich fing an, den ersten Song einzusingen. Mike war begeistert. Er holte sich einen neuen Riesenshake und beschloss seinen Termin zu verschieben, um die Gesangsaufnahmen gemeinsam mit Ray zu machen. Durch die große Scheibe im Aufnahmebereich konnte ich die beiden sehen, wie sie sich fachlich zu Höchstleistungen steigerten.

In den nächsten sechseinhalb Stunden sang ich ohne eine Pause die vier Songs immer wieder neu ein, bis Ray und Mike zufrieden waren. Sie trieben mich zu Höchstleitungen mit positiven Äußerungen wie „That‘s nearly perfect!“,“ just one more time!“ oder, wenn es richtig gut war ,„You‘re a genius!“. Es gab nur einmal eine kleine Pause, weil ich unbedingt Wasser trinken wollte. Ray schickte Anna aus dem Kinosaal,um Wasser aus der Küche holen. Das nicht die Art und Weise, die Anna gewohnt ist. Die Rolle der unscheinbaren Frau des Songwriters und Künstlers ist nicht ihre, dazu ist sie zu selbstbewusst. Aber in diesem Fall war sie zu überrascht, um Widerstand auszulösen. Wie es sich in einem amerikanischem Haushalt gehört, gab es herunter gekühltes Wasser in Plastikflaschen. Anna brachte es schnell hoch, um weiter mit Michelle reden zu können, damit die Aufnahmen weiter gehen konnten. Grade als sie mir die Flasche geben wollte, sagte Ray entsetzt „Is it cold? It must have room temperature, otherwise it will ruin his voice!“ Ich konnte nur noch einen entsetzen, dehydrierten Blick auf die verschwindende Flasche werfen. Anna bereitete die Flasche unter heißen Wasser Künstler kompatibel auf und die Aufnahmen konnten weiter gehen.

Endlich war alles im Kasten, ich ging zu Ray und Mike in den „Regie“-Raum und dachte „Geschafft!“, da sagten die beiden „Now your voice is really warmed up, so go in the recording room and sing the first song one more time.“ Ich dachte, ich höre nicht richtig, aber sie hatten Recht. Das Ergebnis war für alle perfekt.

Wieder war es schon dunkel als wir aus dem Haus kamen. Ray und Michelle setzten uns an unserem Appartement ab und wir waren froh, dass Ray mich gepusht hatte Essen und Trinken einzukaufen. In der angenehmen Sommerwärme saßen wir auf unserem Balkon und dachten, oder sagten es laut „Was war das denn?“

Greyhound ride to Memphis

Die nächsten zwei Tage hatten wir verkündet, werden wir nach Memphis fahren. Wir hatten das Hotel für diese Tage schon von Berlin aus gebucht. Im Peabody Hotel sollten in einer Etage Enten wohnen. Das klang interessant. Ray und Michelle waren ein bisschen besorgt. „Memphis isn`t Nashville. It can be dangerous to walk around there!“ Na ja, für alteingesessene Kreuzberger war dies kein Grund sich zu sorgen. Wir haben ihnen lieber nicht erzählt, dass wir mit dem Greyhound Bus dorthin fahren wollten. Einmal dieses Tom Waits feeling genießen, mit dessen Liedern ich schon immer die Fahrt in einem Greyhound Bus verbunden habe. Wir bekamen von Michelle noch eine Telefonnummer von einer Freundin aus Memphis für den Fall, dass wir in Schwierigkeiten geraten würden.

Also auf zur Greyhound Station in Nashville. Das Greyhound Logo hat eine moderne Überarbeitung verpasst bekommen und sieht jetzt richtig cool aus. Die Busse sind immer noch die alten, was spätestens drinnen zu merken ist, viel Holzklasse, wenig Federung. Aber das Feeling! Ein erhabenes Gefühl auf dem Highway zu fahren und im Kopfhörer den Live Mix der eigenen Songs zu hören. Viereinhalb Stunden zur Memphis Station. Dieses eine Mal ohne Gespräche mit Einheimischen, da wir beide eine Pause nötig hatten. Als wir ankamen nahmen wir wieder ein Uber zum Hotel, da der Busbahnhof etwas außerhalb lag. In den USA sind die Uber Taxen echte Auskunftszentralen: Jeder Fahrer bemüht sich ein Gespräch mit viel Informationen zu verbinden. Sicher ist auch das Trinkgeld ein Aspekt, aber die Art und Weise wie die Kommunikation läuft, ist um Klassen besser als in Berlin. Oft ist das Entertainment gemischt mit echtem Interesse. So erfuhren wir z.B. dass es in Memphis das größte Kinderhospiz in Tennessee gibt. Der Fahrer freute sich sichtlich, über seine Heimatstadt erzählen zu können und so, neugierig geworden, kamen wir im Peabody Hotel an.

Peabody Hotel

Der Kontrast zur Außenwelt könnte nicht größer sein. In einer riesigen Hotelhalle aus den dreißiger Jahren gibt es ein Luxus Ambiente wie aus alten Filmen. In der Mitte der Halle ist ein großer Springbrunnen, der für die Show der Peabody Enten eine große Rolle spielt. Design und Marketing sind perfekt aufeinander abgestimmt. Elvis und Johnny Cash haben hier ihren ersten Plattenverträge unterzeichnet. Jedem Gast wird das Gefühl gegeben ein Star zu sein. Unser Zimmer hatte einen Ausblick auf den Mississippi. Wir machten noch einen Spaziergang zur Beale Street, wo von überall der authentische Blues in all seinen Variationen aus den Lokalen dröhnte. Anders als in Nashville wirkt hier die Musik direkter. Hier geht es nicht um die Show, what you hear is what you get. Natürlich gibt es auch die Hoodoo Läden für Touristen, welche aber mitten im Juli hier kaum herumliefen. Ein paar Meter weiter konnte man direkt zum Mississippi gehen. Tom Sawyer und Huckleberry Finn grüßten aus den Büchern meiner Kindheit. Ich fühlte mich schon lange nicht mehr so in mir und ich glaube Anna ging es ähnlich. Unser Zimmer war ein perfekter Rückzugsort zum runterkommen. Endlich mal eine Pause aus den Erlebnissen, die für mich schon seit zwei Wochen abliefen, ein bisschen Schlaf…

Bling, um zwei Uhr nachts kam eine WhatsApp rein. Ray schickte die ersten Rough Mixes der vier Songs. Anna hat die Eigenschaft richtig tief schlafen zu können. Sie wurde nicht wach. Ich lag da und dachte:„Das muss ich doch jetzt hören!“ Durch meine innere Unruhe wurde Anna doch wach, diese Verbindung zwischen Liebenden, die nicht erklärbar ist. “Na dann lass uns mal die Songs anhören!“ sagte sie. Die ersten Töne ließen uns vollends wach werden. Wow! Danach waren wir so aufgedreht, dass wir nicht mehr schlafen konnten. Ich kam mir vor wie in einem endlosen Film, in dem ich selber als Hauptperson durch die Szenen gehen konnte. Vom Anschauen der Serie „Nashville“ bis hierher war das Gefühl  „Jetzt bin ich die neue Figur zum Auftakt der nächsten Staffel!“

The mighty Mississippi

Morgens um sechs ist es wirklich schön am Fluss. Der Mississippi hatte eine beruhigende Ausstrahlung. So viel Geschichte und Geschichten. Da mussten wir noch eine hinzu fügen. Im Unterbewusstsein entstand hier schon der Auftakt-Song für mein Album, dass ein halbes Jahr später Gestalt annehmen sollte. Der Spaziergang in der Morgensonne am Fluss hatte  eine mystische Komponente. Bis hierher war es für mich ein langer Weg gewesen mit meiner Musik, den Schicksalsschlägen und den weiteren Entwicklungen. Jetzt würde ich immer sagen können „Ich habe es geschafft!“ Ich bot meine Musik dem Mississippi an, der Mississippi grüßte zurück und gab mir Inspiration für neue Songs.

Der Tag und die Hitze. Wir frühstückten in einem Restaurant ,wo die Kellnerin die Speisekarte akustisch vortrug. Da wir sie nicht verstehen konnten, mussten wir nachfragen. Sie wiederholte in der selben Geschwindigkeit mit dem selben Akzent die Auswahlmöglichkeiten. es half nichts, wir mussten „blind“bestellen. Wenn man sich einen runden, einen Meter Durchmesser Tisch vorstellt, war er zum Schluss voll mit fettigen Speisen wie Pancakes und Sirup, Omelette mit Kartoffeln usw. Wenn die Kellnerin wieder mit zwei neuen Tellern kam dachten wir nur „Bitte lass sie an uns vorbei gehen“, aber nein, auch diese waren für uns! Selten habe ich mich nach einem Frühstück so vollgestopft gefühlt.

Also dringend Bewegung. Vorher noch kurz ins Hotel. Als wir in die große, gekühlte Halle kamen begann die Enten Show „Walk of the ducks.“ Jeden Morgen um 11 Uhr und jeden Nachmittag um 17 Uhr wird mit einer großen Zeremonie die Entenfamilie aus dem 13. Stock mit dem Fahrstuhl in die Halle gefahren und mit Musik und Dienern im Livree zum Springbrunnen in der Mitte der Lobby gebracht. Die Show drum herum ist großes Kino. Dies passiert jeden Tag seit Jahrzehnten. Die Amerikaner lieben es. Die Enten lieben es weniger und werden alle drei Monate ausgetauscht. Eine versuchte vom roten Teppich abzuhauen und wurde von einem livrierten Diener verfolgt. Zum Glück erfolgreich.

Touristen beobachten Enten

Graceland

Wir beschlossen dem ganzen Show-Treiben noch eine Krone aufzusetzen und buchten im Hotel einen Ausflug nach Graceland. Wir wurden zu einem Shuttle Bus gebracht, in dem eine sehr aufgedrehte und lustige Fahrerin uns fragte „Where are you from guys?“, da wir die einzigen Fahrgäste waren, kamen wir ins Gespräch und unterhielten uns gut über Unterschiede zwischen Europa und den USA. Sie fuhr verschiedene Hotels an, wo jedoch keine weiteren Fahrgäste zustiegen. Plötzlich, an einer Kreuzung schaltete sie ihre Sprechanlage an und wechselte in ihre professionelle Ansage, die im leeren Bus sehr laut klang. Es ging darum, dass wir keine Waffen oder Sprengstoff nach Graceland mitnehmen dürften und dass der Shuttle pünktlich um 16 Uhr wieder an der Haltestelle sein würde. Wer später käme, hätte eben Pech gehabt und müsste selber zurück finden, was fast unmöglich wäre. Dann wechselte sie wieder nahtlos über in unser interessantes Gespräch. Welch eine Show! Eine Gruppe von älteren Australiern stieg noch zu und so erreichten wir den Eingang von Graceland. Dachten wir! Auf dem Weg zum Eingang lag bei dreißig Grad Außentemperatur überall Styropor Schnee, eine perfekt illuminierte Winterlandschaft war zu sehen. Im Eingangsbereich standen und saßen Leute in Winterkleidung. Wir erfuhren, dass hier grade der Film „Christmas in Graceland“ gedreht wurde.

Dann wurden wir in einen Videoraum gebracht, in dem ein zwanzig minütiger Film über das Leben von Elvis abgespielt wurde. Nicht ohne eine kleine Rede von einem Animateur vor der Vorführung. Danach wurden wir zu kleinen Bussen gebracht, deren einzige Aufgabe es war, uns über den Highway zum echten Eingang von Graceland zu fahren. Ein zweiminütiger Transport. Erst später habe ich den Zweck verstanden: Auf der Ankunftsseite  dienen große Hallen nur einem Zeck, dem Merchandising. „All about Elvis!“. Elvis Privatflugzeug ist nur von außen zu besichtigen. Das eigentliche Graceland ist Original belassen, wie ein heiliger Gral, der seine Strahlkraft nur aus der Geschichte bezieht. Interessant war es, die ehrfürchtige Aufmerksamkeit der amerikanischen Besucher zu beobachten. Der Geist von Elvis besitzt immer noch eine hohe Identifikationsdichte. Hauptsächlich für weiße Amerikaner. An der Haltestelle des Shuttle Busses kamen wir mit einem jungen Paar ins Gespräch. Als wir sagten, dass wir aus Deutschland kommen sagte der junge Mann: „Eigentlich müsste ich ja sauer auf euch sein. Ihr habt meinen Cousin im zweiten Weltkrieg getötet!“ Er selber war Anfang zwanzig.

Elvis Grab

Letzter Abend in Memphis

Back in Memphis, Downtown. Wir waren hungrig und landeten in einem Lokal, das „Flying Fish“ hieß. Eine sehenswerte Location, an den Wänden hängen hunderte der singenden Plastikfische, aber jeder künstlerisch bearbeitet. Der Catfish als Menue schmeckte großartig, danach gingen wir gestärkt zurück in unsere Hotel Lobby, um an der Bar noch einen Cocktail zu geniessen.

Dort lernten wir Dave kennen, der sein Geld als Beleuchtungsregisseur für große Shows verdient. „Ich sorge dafür, dass Barbara Streisands Nase nicht zu groß wirkt!“ Er pendelt zwischen Nashville und Memphis. Sein soziales Projekt ist das Kinderhospiz in Memphis. Er und seine Kollegen sorgen dafür, dass todkranke Kinder auf der Intensivstation durch künstliches Licht die Illumination eines Tag- und Nachtverlaufes empfinden können. Wir waren sehr berührt und genossen das intensive Gespräch mit Dave.

Der nächste Morgen:  Das Frühstück im Hotel hatten wir nicht dazu gebucht, weil es sündhaft teuer war. Aber vor unser Abreise beschlossen wir, dass wir es uns einmal leisten würden. Keine schlechte Entscheidung, denn seitdem wissen wir, wie Tennessee Buttermilk Buiscuits schmecken und noch besser, wie sie gemacht werden. Memphis ist definitiv noch einen Besuch wert. In meinem Hinterkopf formierte sich der Text zu einem neuen Song.

Auf der Rückfahrt im Greyhound machten wir wieder eine kurze Pause in Jackson, fast hätten wir von Berlin aus zwei Tage dort gebucht. Die Stadt überlebt nur als Trucker Hotel. Da Anna und ich nicht nebeneinander sitzen konnten, unterhielt ich mich mit meiner Sitznachbarin über Jackson. Sie sagte mir „The south is overrated!“. Auf meine Frage wieso, sagte sie:„But if you come at Christmas time, it`s sooo fantastic!“ Ich stellte mit die Kreuzung in Jackson mit tausend Glühbirnen vor, es wurde nicht besser! Dann kamen wir noch ins Gespräch mit einer Farmer Familie, die für ein Wochenende auf dem Weg nach Nashville war. „I like your ring, man!“,war die Eröffnung des Gespräches. Die Amerikaner nutzen immer einen positiven Gesprächsöffner wie „I like your hat“ oder eben „I like your ring“, so schaffen sie gleich eine Beziehungsebene, um dann aus ihrem Leben erzählen zu können. Clever!

Nashville Karaoke

Zurück in Nashville wechselten wir unsere Unterkunft und zogen ins Comfort Inn, wo ich schon mit Udo untergekommen war. Kaum angekommen, erhielten wir eine WhatsApp von Ray „Let`s meet at a  bar at 6 pm! I will karaoke my ass off!“ Mein erster Gedanke war,„aber doch nicht heute“, dann siegte die Neugier. Wann wird man schon mal zum Karaoke Abend außerhalb der Touristenzone eingeladen. Also haben wir uns frisch gemacht und sind mit dem Uber hingefahren.

In der Bar warteten schon Ray, Michelle und die Frau von Micheal Klooster, die ein Shirt trug mit der Aufschrift „Fragile as a bomb!“. Anna wollte sofort so ein T-Shirt haben.

Die Einheimischen konnten alle singen, es gab noch ein paar Hell`s Angels, die mit ihren Motorrädern gekommen waren. Das Szenario ähnelte einem Tarantino Film. Mehrere Frauen sangen Country Balladen, Ray sagte mir „Was willst du singen?“ Ich entschied mich für  „Soldier of fortune“, eine Ballade von Deep Purple.  Dies war die richtige Wahl, die nächste Sängerin klatschte mich ab. Ich war drin! Ray brachte eine Version von „White Rabbit“ ,bei der allen das Blut in den Adern gefror, unglaublich energetisch. Die Rocker verzogen sich nach draußen, wo sie durch Lautsprecher mithören konnten. Als nächstes entschied ich mich für den Song „Bad Company“ der gleichnamigen Band. Als ich fertig war gab es Applaus. Zurück an unserem Tisch kam plötzlich der Chapter Leader der Hell`s Angels zu mir und drückte sehr fest meine Hand. “I like the way you sing, man!“

Alle brachten gute Songs, in Nashville hat Karaoke eine andere Qualität. Ray sagte mir, dass er nur mal sehen wollte, wie ich auf der Bühne agiere. Mein nächster Song war „Dirty old town“ von den Pogues, der DJ war begeistert, dass mal andere Songs genommen wurden außer Country classics. Als ich in der nächsten Runde „Pancho and Lefty“ angestimmt habe, kam der Rocker Chef zu mir auf die Bühne und sagte „This is my favourite song!“. Darauf versuchte mit mir im Duett zu singen. Da er schon vorher zweimal versucht hatte einen Song zu singen, wusste ich, dass er nicht der beste Duettpartner war. Auf jeden Fall war er danach sehr glücklich und fuhr mit seinen zwei Untergebenen auf Motorrädern in den Sonnenuntergang, mehr amerikanisches Klischee ging nicht, nur dass es wirklich passierte. Am Ende des Karaoke Abends sang ich noch „C`est la vie“ von Chuck Berry, der DJ sagte mir, dass er sich freuen würde, wenn ich bald wieder käme.

Goodbye Nashville

Am letzten Abend gingen wir mit Ray und Michelle essen, danach in einen Bluesclub und zum Schluss in einen Irish Pub in der Printers Alley. Ein würdiger Abschluss für die erste Nashville Reise. Ich hätte Anna gerne noch den Farmers Market und mehr gezeigt, aber der Film in dem wir uns befanden, lief bis zur letzten Minute.

Ray brachte uns zum Flughafen, auf dem Rückflug konnte ich lange nicht einschlafen. Anna wachte kurz auf und fragte „Was machst du da?“ Ich tippte die ersten Zeilen meines neuen Songs in mein Handy, sie kamen mit dem Erinnern an die ruhige Kraft des Mississippi. Ich wusste sofort, dies würde der Eröffnungssong für mein kommendes Album werden, welches ich unbedingt mit diesen phantastischen Musikern aufnehmen wollte.

Mit Ray, Michelle und Mickey

Home

Wieder zuhause machte ich erstmal eine Bestandsaufnahme, was die Zukunft anging. Ich hatte die Chance, ein komplettes Album mit zwölf Songs in Nashville mit erstklassigen Musikern einzuspielen. Ray wollte als Manager agieren, Tommy Harden würde wieder die Musiker auswählen und die Aufnahmen durchführen. Für die Auswahl der Songs und die Arrangement hatte ich sechs Monate Zeit, im Februar 2020 sollte es dann wieder ins Studio gehen. Aus Nashville brachte ich eine unheimliche Energie mit, nicht nur ich, auch Udo und Anna ging es so. Die deutsche, speziell die Berliner Muffeligkeit kam uns völlig absurd vor.

Ich war voller Tatendrang. „Wir müssen ein Cover für die EP machen!“ Anna entschloss sich, eine gute Kamera zu kaufen und die Fotos dafür zu machen. So entstanden Aufnahmen und Versuche ein kleines Video zu drehen bei uns in Kreuzberg. Parallel dazu ging es darum, ein Label zu finden und die notwendigen Genehmigungen und Lizenzen für die Veröffentlichung zu erwerben. Das Ganze bekam plötzlich eine enorme Dimension von Produktion, Handel, Vertrieb und Marketing, die die Musik vorübergehend in den Hintergrund stellte. Ein halbes Jahr später hatten wir uns „durchgeboxt“ und die EP kam auf den Markt. Kay Vega Northern Soul – Southern Spirit war in der Welt. So entstand im Winter am Oranienplatz der letzte Schliff für den Sheriff/Outlaw Kay Nash Vega.

Kay Nash Vega

Erste Feedbacks

Zu Annas 50. Geburtstag, der eine Woche nach unserer Rückkehr gefeiert wurde, kamen Freunde aus unterschiedlichen Ländern. Da wir noch völlig im Nashville Modus waren, spielten wir die vier Songs jedem einzeln vor, die Art und Weise des Zuhörens war bei allen völlig unterschiedlich. Ein Freund aus der Schweiz, selber Musiker, sagte, er könne neue Lieder nur hören wenn er dazu Gitarre spielen würde. So nahm er sich meine Gitarre und spielte beim zuhören. Andere waren sehr überrascht und sagten, dass meine Stimme sehr jung klingen würde. Udo spielte die Songs auf einer Party vom Beatsteaks Manager vor und berichtet, dass dazu getanzt wurde. Die positiven Signale bestärkten mich, jetzt nicht aufzuhören und mit dem Ergebnis zufrieden zu sein, sondern mit dieser Energie in die nächste Stufe zu gehen: das erste Album!

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